Jeder kennt es – jedoch aus den unterschiedlichsten Situationen: Wie wird sie reagieren, wenn ich sie jetzt anspreche? Alle ihre Freundinnen stehen daneben… und warum sollte sie mich überhaupt mögen? Fragen über Fragen… Gesucht wird die Lösung häufig in jenem hemmschwellesenkenden Destillat, dem sozialen Katalysator. Manch einem Zeitgenosse bleibt im Angesicht der bevorstehenden Pflicht auch nichts, als sich Mut anzutrinken…

Heute nehmen wir einen großen Schluck, wenn wir uns nicht trauen, jemanden anzusprechen oder in einer Karaoke-Bar einen Song zu performen. 1689 im Krieg zwischen England und Frankreich schlossen sich die Niederländer William III an und kämpften an der Seite der britischen Armee. Louis XIV sprach natürlich gegen beide Nationen ein Handelsverbot aus und so mussten die Inselbewohner auf ihren geliebten Brandy verzichten. Der Niederländer allerdings genehmigte sich vor jeder Schlacht erst mal ein Gläschen und trank sich Mut an, bevor er ins Gefecht zog. Dem Engländer war der Brand mit Wacholderbeeren unbekannt und so nannte er ihn vorerst Dutch Courage, während er bei den Niederländern einfach nach den Wacholderbeeren (jeneverbes) selbst benannt ist. Heute ist der Genever eher unbekannt und hat seinen Platz eher im Fachhandel als im Supermarkt.

Die Engländer konnten endlich Schnaps aus Getreide brennen und verfeinern und waren nicht mehr auf den Import des Traubendestillats der Franzosen angewiesen und so wuchs die Beliebtheit ins Unermessliche. Und wenn der ein oder andere Schluck Selbstgebrannter anfängt, Auswirkungen auf die sprachlichen Fähigkeiten zu nehmen, wird aus dem »Genever« irgendwann »Ginevra« und wenn das Wort dann einfach zu lang ist, wird alles außer der ersten Silbe verschluckt.

Im späteren Verlauf der Geschichte sollte es auch den Seeleuten des British Empire nicht an Mut fehlen und so tauchten die ersten Cocktails mit Gin auf: »Pink Gin« (Gin und Angoustura Bitters), um Magenleiden auf hoher See zu heilen. Der »Gimlet« (Gin mit Limettensaft) wurde zur Vorbeugung gegen Skorbut getrunken und für alle Offiziere, die nach Indien mussten, durfte das bittere Wasser
mit Chinarinde nicht fehlen, um sich gegen Malaria zu schützen.

Früher flüssiger Mut in der Flasche, dann medizinische Allzweckwaffe, und heute – nach einigen Rückschlägen im 20. Jahrhundert – alles andere als nur noch der Lieblingsdrink der Queen mit angestaubtem Image. Nein, heute ist der Trend so groß, dass es fast schon eine Wissenschaft für sich ist.

Der Gin and Tonic eroberte in den letzten Jahren die Bars dieser Welt. Die Tonicwater-Industrie schläft auch »Eine Wissenschaft für sich« 28 nicht und so treffen wir nicht nur auf Qualität, sondern auch auf Quantität. Für uns ergeben sich daraus mehrere Fragen:
Wie bekomme ich einen Überblick?
Was bestelle ich in einer Bar?
Welchen Gin kaufe ich mir für zu Hause?

Dabei beantwortet sich die letzte ganz einfach. Wenn Du die ganze Flasche trinken willst, egal ob an einem Abend oder auf viele verteilt, kauf einen, der Dir schmeckt und nicht einen, den andere aus welchen Gründen auch immer gut finden.

Wenn Ihr in einer Bar Gin and Tonic trinken möchtet, hilft es unglaublich bei der Auswahl, wenn Ihr Euch Eurer Intention vorher bewusst werdet. Brauche ich nach einem langen Arbeitstag einfach einen Absacker mit Kollegen, möchte ich kein philosophisches
Gespräch über die genaue Zusammensetzung und die Vor- und Nachteile der 42 Gins der Bar sprechen. Vor allem nicht, wenn dann eine zweite Sitzung ansteht, zur Wahl des Tonics, nachdem ich mich endlich auf die Spirituose festgelegt habe. Eine Bar mit soviel Auswahl legt Wert auf Qualität, also lasst euch einfach einen Gin and Tonic mit dem Standard-Gin, dem Gin aus dem sogenannten »Pouring« der Bar geben, ganz nach dem Motto: Bring endlich was zu trinken, bevor ich verdurste!

Treffe ich mich hingegen Samstagabend mit Freunden, um genau diese eine neue Trendbar auszuprobieren, dann darf’s auch gerne mal was Ausgefallenes sein. Tipps an dieser Stelle: Öfter mal was Neues und fragt nach der Empfehlung des Barchefs.

Wenn Ihr euch tiefer mit der Materie beschäftigen wollt, dann besucht ab und zu mal ein Tasting und versucht, die Gins nach mehreren Kriterien zu ordnen. Auf der einen Seite kann man geschmacklich sicher einige Gruppen finden, die einem auch mit der Zuordnung des Tonics helfen.

Habe ich einen klassischen Gin mit sehr kräftigen Wacholdernoten oder eher etwas Exotischeres mit anderen Geschmäckern? Finde ich Zitrusnoten oder geht das Ganze in eine mediterrane Richtung bis hin zu Kräutern und so weiter und so fort. Meine Empfehlung für Euch: Vergleicht zu Beginn keine Gins aus der gleichen Richtung.

Es gibt auf dem Markt zwei Trends: Der eine fokussiert lokale Produkte. Allein der deutsche Markt bietet etliche Topprodukte aus vielen Städten und Regionen. Jedes hat seine Gründe getrunken zu werden: Zum Beispiel Botanicals, die wegen irgendwelcher Bodenbeschaffenheiten oder klimatischen Bedingungen besonders gut vor Ort wachsen, oder für die Destillation wird Wasser aus dem lokalen Fluss gezogen, der durch besondere Gesteinsschichten fließt.
Der andere Trend sucht sich Nischen durch ausgefallene Botanicals aus der ganzen Welt. So gibt es zum Beispiel Japanische Gins mit Yuzuschale, Sencha-Tee und Kirschblüten oder afrikanisch angehauchte mit der Frucht des Affenbrotbaums. Es gibt französische
Gins, deren Basisbrand nicht aus Getreide, sondern aus Weintrauben destilliert wird. Und auch hier gibt es unzählige Beispiele und Gründe zum Trinken.

Beide Trends bauen ihre Gins um bestimmte Botanicals. Wenn Ihr Gins verkostet, sucht nach den herausgearbeiteten Botanicals und findet
heraus, welche wie schmecken. Erst dann lohnt es sich, Gins aus der gleichen Richtung zu testen, um in den geschmacklichen Vorsortierungen zu differenzieren.

In diesem Sinne wünsche ich ein frohes Probieren und viele schöne philosophische Gespräche, entweder über Gin selber oder nach ein paar Gin and Tonics über Gott und die Welt.

Dennis Gilliam