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Line In – Der Musikkanal

Muss das sein?
Sinn und Unsinn nachgespielter Songs

Vor kurzem hat mich eine Kollegin auf einem Event angesprochen und mich kopfschüttelnd gefragt, »muss das sein?«.  Ich hab in diesem Moment vermutlich noch dümmer geschaut als sonst, sodass sie mit durchgeladenen Augenbrauen auf einen Lautsprecher zeigte. In dem Moment war mir klar, was gemeint war. Es lief gerade ein Jive bzw. Boogie, und zwar der Song »Stitches« von Shawn Mendes, allerdings nicht von Shawn Mendes, sondern in einer nachgespielten Tanzversion.  Meine Kollegin schüttelte den Kopf und fragte, »warum macht man sowas?«.

Original vs. Coverversion

Hierzu fällt mir leider auch nichts ein. Warum wird ein Song, der sich schon in der Originalversion quasi perfekt für einen Tanz eignet, nochmal eingespielt? Hinzu kommt, dass die Produktion eines einzelnen Songs, den wir aus dem Radio kennen, oft einen fünfstelligen Betrag verschlingt und entsprechend fett klingt. Das Budget für nachgespielte Tanzversionen ist hingegen zwangsläufig deutlich niedriger, was man leider in vielen Fällen sofort hört. Hinzu kommen dann oft auch noch die obligatorischen Kuhglocken, die bei der Chachaisierung von Charthits offenbar gesetzlich vorgeschrieben sind – hier fängt es dann langsam an, weh zu tun.

Wer tanzen kann oder tanzen möchte braucht längst keine 100%ig »originalen« Rhythmuselemente mehr und ich schaffe es tatsächlich auch, auf einen Titel Rumba zu tanzen, ohne dass mir baumstammgroße Claves mit einem Vorschlaghammer ins Innenohr eingeführt werden. Und ob ein Jive bzw. Boogie jetzt einen Ternären, also geshuffelten Rhythmus hat oder nicht, ändert mein Tanzerlebnis zu 0%.

Außerdem ist gibt es seit über 20 Jahren die Erfindung des »Mastertempos«, also der Möglichkeit, die Geschwindigkeit eines Titels ein wenig an den Tanz anzupassen, ohne dass sich die Tonhöhe ändert, was Neueinspielungen erst recht größtenteils sinnfrei macht. 

So kann’s gehen:

Zum Glück geht der Trend in die Richtung, Songs komplett umzuinterpretieren, dann macht die Sache wieder Spaß, weil hierzu die Phantasie und Kreativität der MusikerInnen gefragt ist. Da wird aus einem Dance-Track plötzlich ein jazziger Slowfox oder aus einem Partyhit der 80er ein sphärischer Electrotango. 

Zwei Ausnahmen gibt es aber, über die wir nicht diskutieren müssen:

1. Die geringe Populationsdichte neu erscheinender Langsamer Walzer macht es notwendig, den einen oder anderen Song in einen 3/4- bzw. 6/8-Takt zu überführen. Auch hier funktioniert das umso besser, je weiter sich die Tanzversion vom Original entfernt. Denn jeder Tanzlehrende kennt die Situation, dass Kunden völlig verzweifelt sind, weil die neue Walzerfigur im Wohnzimmer nicht mehr klappt – zuhause und im Rest der Welt hat beispielweise »Apologize« nämlich leider einen 4/4-Takt.

2. Einen Popsong zu einem Paso Doble zu vergewaltigen, ergibt keine Tanzlust sondern eine Diagnose – nämlich Brech-Lachanfall.

Um die eingangs gestellte Frage zu beantworten, ob das mit der Neueinspielerei nun also sein muss, lautet die Antwort eindeutig Ja – äh – nein, ich mein… JEIN!

Viel Spaß beim Tanzen & Feiern,
Euer Johnny

 

Shazam-Charts

  1. The Weekend – Blinding Lights
    (Jive)
  2. Tones and I – Dance Monkey
    (Cha Cha Cha, Foxtrott, West Coast Swing)
  3. Regard – Ride It
    (Cha Cha Cha, Discofox)
  4. Riten & Oliver Heldens Feat. Vula – Turn Me On
    (Discofox)
  5. Hundreds – Wonderful Life
    (Rumba, West Coast Swing)
  6. Saint JHN – Roses (Imanbek Remix)
    (Discofox)
  7. Felix Jaehn & Vize Feat. Miss Li – Close Your Eyes
    (Discofox)
  8. Lewis Capaldi – Before You Go
    (West Coast Swing)
  9. Dua Lipa – Don’t Start Now
    (Cha Cha Cha, Discofox)
  10. Maroon 5 – Memories
    (Rumba, West Coast Swing)
  11. The Black Eyed Peas & J Balvin – Ritmo
    (Foxtrott, Samba, West Coast Swing)
  12. Post Malone – Circles
    (Cha Cha Cha, Discofox)
  13. Billie Eilish – Everything I Want
    (Cha Cha Cha, Discofox)
  14. Meduze, Becky Hill & Goodboys – Lose Control
    (Discofox)
  15. Nico Santos – Play With Fire
    (Foxtrott, Rumba, West Coast Swing)