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Über nah und fern

Die internationale Choreographin Kiani del Valle zeigte diesen Monat Ihr Company Debüt
»Las Casas Invisibles« im Funkhaus Berlin

Wenn wir über Tanz sprechen, variieren die Ansichten dazu, was Tanz können muss und tun
soll, je nachdem, von welchem Winkel, und durch welche Linse man auf Tanz blickt.
Fragt man beispielsweise eine*n Performer*In, so wird vermutlich der Anspruch nach
perfekter Ausführung, und einer ausgezeichneten Bewegungsqualität deutlich.
Eine der berühmtesten deutschen Choreograph*Innen Pina Bausch sagte hingegen einst,
dass es sie nicht interessiere, wie Menschen sich bewegen, sondern was sie bewegt.
Besucher, wollen bewegt, berührt, und inspiriert werden. Das setzt Ehrlichkeit voraus.

Kiani del Valle, entschied sich dazu, sich mit einer sehr persönlichen Thematik
auseinanderzusetzen. Sich selbst Fragen zu stellen, deren Antworten an dem Fundament der
eigenen Identität rütteln.
Die Frage von Heimat und Zugehörigkeit, ist eine existenzielle, für jeden Menschen.
Nur selten sehen wir allerdings eine Auseinandersetzung mit dem Thema, die die Aspekte
einer globalisierten Welt, die sich nach wie vor in privilegiert und ausgebeutet aufteilt, in
Macht und machtlos, von einem Standpunkt der nicht-Norm. Von einem Standpunkt der
Herz vor Intellekt stellt und Intuition vor Konzept.
Kiani del Valle erzählt von Migration und dem Wunsch nach Ankommen, von einem Punkt
der Ehrlichkeit und des Wissens, nicht weil sie vermutet, sondern weil sie weiß und teilt.
Wie tiefgründig die Auseinandersetzung mit der Thematik reicht, zeigte sie diesen Monat im
Funkhaus Berlin.

»Las Casas invisibles«, ist das Debut der von del Valle gegründeten Company KDV Ensemble.
Im kalten, sich langsam füllenden Saal sitzend, begriffen nur wenige dass die Performance
bereits begonnen hatte. Während die einen Gäst*Innen noch mit ihren Unterhaltungen
beschäftigt waren und auf ihre Handys schauten, ließen sich andere auf die Anwesenheit der
Tänzer*Innen ein, die apart wirkend auf der Bühne saßen. Der Lärmpegel, der sich
setzenden und ankommenden Gäst*Innen, die Kälte des brachialen, dunklen Raumes, all
dies wirkte fast wie Kalkül, und bot das perfekte Sinnbild zu dem Gefühl, sich fremd und
alleine in einem vollen Raum oder in einem fremden Land fühlen zu können.
Mit dynamischer, anspruchsvoller Choreographie, gemeinsam mit der elektronischen Live
Musik von Raven, Floating Points und Lotic, wurde dann, alle Aufmerksamkeit, beinahe
ruckartig an das Ensemble gerissen.
Selten, sehen wir heute die Menge an Hingabe, wenn Tanz in der zeitgenössischen Kunst
gezeigt wird. Die ausgezeichneten Performer*Innen, des KDV Ensembles, erzählten vielleicht
deswegen so aufrichtig eine Geschichte von Entwurzelung und Sehnsucht, da diese auch für
sie eine persönliche sein dürfte; KDV Ensemble ist international und divers, so wie die
Geschichte von »Las Casas Invisibles« selbst.
Ein perfekt auf die Stimmung des Stückes abgestimmtes Licht und Kostümkonzept, zeigt die
Detail Arbeit und den Respekt, den del Valle vor einer solchen Inszenierung und Bühne hat.
Einen Respekt, den man bei manch privilegierten Choreograph*Innen oftmals vermisst.

Mit Qualität, Intention und Emotion, hat es das KDV Ensemble geschafft ein Caleidoscope
der Schönheit zu entwickeln, egal von welchem Winkel man auf »Las Casas Invisibles«
schauen möchte, unabhängig davon, was man persönlich von Tanz erwartet. Man darf
gespannt sein, welche Geschichte del Valle als nächstes mit uns teilen wird, und sollte sich
darauf gefaßt machen, dass sie eine der Protagonist*Innen sein wird, die die Inhalte der
deutschen Tanztheaterwelt, langfristig diverser einfärben werden.

Von Sophie-Yukiko Hasters