»NOTLÜGEN SIND ERLAUBT, UM DIE NOT ZU WENDEN«

Auch wenn wir hoffentlich Menschen mit einer hohen Moralvorstellung sind und Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit als hohes Gut eines jeden Miteinanders zu schätzen wissen, kommen wir doch immer wieder in die Situation, uns selbst mit einer Notlüge aus der Patsche helfen zu müssen. Lernen Sie Ihre kleinen Lügen als hilfreiche Retter in der Not zu lieben. Notlügen sind dafür da, um die Not zu wenden.
Es gibt Statistiken, die besagen, dass wir bis zu 200-mal am Tag flunkern.
Sie dürfen hier gerne aufschrecken, sich nicht angesprochen fühlen und auch die Studien skeptisch hinterfragen. Wenn ich meinen Teilnehmenden dann ergänzend sage, dass in den Lügen auch das eine oder andere Lächeln gegenüber Kunden und Kollegen mit einbezogen ist, lehnt sich manch einer entspannt zurück mit den Worten: „Ja, dann…“ manche ergänzen noch humorvoll, dass sie dann locker über die 200er-Grenze kommen würden. Wer nicht bereit ist, ein herzliches Lächeln in die erste Begegnung zu zaubern, wird entsprechend die „Quittung“ für sein missbilligendes Verhalten bekommen. Als ehemalige Flugbegleitung kann ich diese Zahl nur bestätigen, denn bei hunderten von Passagieren am Tag, die ich an Bord begrüßt hatte, war das ein oder andere Lächeln ehrlich gesagt nicht echt. Ich erinnere mich nur ungern an grölende Passagiere, die mit einer Alkoholfahne die Maschine betraten. Wie gesagt, manch ein Lächeln war nicht echt…
Um das Leben als leichte Kost genießen zu können, lohnt es sich all die vielen Male doch bei der Notlüge zu bleiben und sie lieben zu lernen. Sie rettet uns vor grausamen und brutalen Attacken, die keiner Seele guttun können.

Notlügen-Klassiker bei Antworten im Alltag: „Du sorry, ich hatte keine Zeit einen Salat für deine Party zu machen, obwohl ich es versprochen hatte.“ – „Ist nicht schlimm. Ist doch genug da. Wer soll das alles essen?! “Oder: „Sei mir nicht böse. Ich habe vor lauter Arbeit vergessen, dein Paket bei der Post abzugeben.“ – „Ach, verstehe ich. Kein Problem. Dann gehe ich morgen früh kurz vor der Arbeit hin. Müsste zeitlich noch hinhauen.“ Oder: „Hattest du nicht kürzlich Geburtstag? Letzte Woche? Mist. Wie konnte ich das vergessen, obwohl wir uns schon so lange kennen? Nicht sauer sein, bitte.“ „Du, ich weiß doch, wieviel du um die Ohren hast momentan. Nicht dramatisch. Ehrlich. Alles gut.“

Bei einem Speed-Dating wurde ein spannendes Experiment durchgeführt. Zwei Probanden – eine Frau und ein Mann – durften in der ersten Gruppe die ihnen gestellten Fragen ausschließlich nur mit der absoluten Wahrheit beantworten – egal um welche Frage es sich handelte. Auch bei den intimen Fragen wurden die Antworten im wahrsten Sinne nackt und unverblümt offenbart. Erst bei der zweiten Gruppe war es denselben Probanden erlaubt, bei den Antworten zu schwindeln und gerne auch zu übertreiben, wenn Bedarf verspürt wurde. Mal abgesehen davon, dass in der ersten Gruppe es den beiden sofort auffiel, wie schwer es doch war, ausschließlich mit der reinen Wahrheit zu antworten, rangen beide äußerst angestrengt nach passenden Worten, um nur halbwegs gut aus der Nummer herauszukommen. Trotz aller Bemühungen schnitten sowohl der Mann als auch die Frau überdurchschnittlich schlecht bei den anwesenden Kandidatinnen und Kandidaten ab.

Entsprechend erleichtert ging es dann in die zweite Gruppe, in der nach Lust und Laune gelogen werden durfte, dass sich nur so die Balken bogen. Wie schon gedacht bestätigte sich die Vermutung, dass in der zweiten Gruppe diese beiden von den anderen als charmant und sympathisch wahrgenommen wurden und dass sogar Interesse aufkam, die Frau beziehungsweise den Mann näher kennen lernen zu wollen.

Gerne entflammt bei diesem Thema die Diskussion auf, ob das nicht hinterhältig sei, wenn man unehrlich mit seinen Menschen umgeht und sie die Wahrheit nicht erfahren. Das ist ein sehr sensibles Thema und kann sicher nicht verallgemeinert werden. Statt Unehrlichkeit passt besser der Begriff Diplomatie an dieser Stelle. Bleiben Sie diplomatisch: Knigge empfiehlt: Lieber unaufrichtig freundlich, statt aufrichtig unfreundlich.

Ach, vielleicht entspannt es Sie, wenn ich Ihnen verrate, dass die meisten sich nicht wirklich für Ihre und meine Wahrheit interessieren. Zumindest nicht zu jedem einzelnen Thema und immer und überall. Die meisten Menschen haben bereits ihre eigene Wahrheit und sind in der Regel nur auf der Suche nach Bestätigung. Lassen Sie mal zum Testen Ihre Meinung im nächsten Gespräch einfach weg. Seien Sie ein guter Zuhörer und warten Sie ab. Hören Sie aktiv zu mit kurzen Kommentaren, die jeder aufmerksame Zuhörer von sich gibt wie „aha“, „erstaunlich“, „interessant“, etc. Es wird Sie kaum einer im Anschluss fragen: „Und? Was denkst du darüber?“ Im Umkehrschluss haben Sie den Nachweis, dass Ihre Meinung gerade nicht gefragt war. Erfolgreiche Menschen sind immer auch sehr gute Zuhörer – Reden ist bekanntlich Silber und Schweigen ist Gold. Sind Sie jetzt sehr enttäuscht zu erfahren, dass die eigene Meinung gar nicht so gefragt ist? Hier ein Zitat als kleiner Trost von keinem geringeren als Dalai Lama:
“Wenn du sprichst, wiederholst du nur, was du schon weißt; wenn du aber zuhörst, kannst du unter Umständen etwas Neues lernen.“