Profi-Tänzer scheinen sich ganz ohne Worte zu verstehen. Die Magie hinter dieser Harmonie besteht in klaren Absprachen. Von den Tanz- Regeln kann man sich viel für sein eigenes Liebesleben abgucken.
Von Deborah Weinbuch
Ganz wie von selbst schweben sie über die Tanzfläche, perfekt im Takt. Beinahe telepathisch scheinen sie zu wissen, was der andere will. Fast ist es, als seien sie für diesen Moment ein Wesen, eine Seele in zwei Körpern, denen die Musik Schwerelosigkeit verleiht. Gute Tanzpaare bewundern wir, manchmal beneiden wir sie auch. Dabei können wir uns die Sehnsucht nach dieser Harmonie auch erfüllen. Denn Menschen, die jahrelang tanzen, haben vor allem eins gelernt: perfekt aufeinander einzugehen, dabei bei sich zu bleiben und einander stets zu respektieren. Der Paartanz ist ein Spiegelbild romantischer Beziehungen. In der Welt des Tanzens fordern wir potentielle Partner auf, kassieren gelegentlich einen Korb oder verteilen diesen auch mal. Wir treten unserem Gegenüber ab und zu auf die Füße oder bekommen selbst etwas ab. Schwingt man sich jedoch nach und nach aufeinander ein und findet den Takt, kann man gemeinsam wie auf Wolken schweben.
Miteinander zu tanzen erfordert eine sehr bewusste Wahrnehmung und ein intuitives Erspüren des anderen. Gleichzeitig ist jeder Paartanz eine ständige Kommunikation – ja, eine Verhandlung zwischen dem, was die Partner am liebsten möchten. Denn jenseits festgelegter Figuren und Grundschritte gibt es viel Gestaltungsspielraum. Da tanzen aber eine höchst freiwillige Sache ist, die jederzeit ein jähes Ende finden kann, erfordert diese Verhandlung ein Fingerspitzengefühl und eine positive Grundeinstellung, die auch Partnerschaften im normalen Leben nur guttun kann.
Versucht beispielsweise ein Tanzpartner, alle seine Vorstellungen auf Kosten des anderen durchzusetzen, stört das die Harmonie. Gute Führung berücksichtigt immer den anderen. Wir achten also auf den Partner, statt ihn zu bedrängen. Wir arbeiten zusammen und müssen doch jeder in seiner Mitte bleiben, um die Balance zu halten. Die folgenden Prinzipien des Paartanzes helfen dabei, sich gemeinsam weiterzuentwickeln:
1. Entscheidung:
Wann, wo und mit wem möchte ich auf die Tanzfläche gehen?
Grundlage für einen schönen Tanz ist, dass beide gleichermaßen Lust darauf haben. Die gegenseitige Zuneigung ist dabei die Basis des Aufeinander-Einlassens. Und auch des Darüber-Wegsehens, falls einmal etwas nicht gleich so klappt, wie geplant. Ohne ausreichende Zuneigung wird man immer ein Haar in der Suppe finden.
Sind also beide voneinander angetan, heißt es, vorsichtig auszuloten: Was können wir gemeinsam umsetzen? So vermeiden wir Luftschlösser und damit verbundene Enttäuschungen. Erfahrene Tänzer beginnen deshalb zunächst mit vorsichtigen Wiegeschritten, die sie um immer komplexer werdende Figuren erweitern. So findet man elegant und behutsam heraus, wo der andere steht. Nehmen wir uns also auch jenseits der Tanzfläche ausreichend Zeit für ein Warm-up, um zu sehen, was miteinander wirklich möglich ist und sich gut anfühlt.
2. Rhythmus:
Walzer oder ein schneller Tango?
Die Art des Tanzes muss klar definiert sein. Erst wenn beide Partner den Takt erkennen und sich darauf einlassen, kann eine Harmonie entstehen. Prescht nämlich der eine feurig voran, während der andere gerne gemächlich über die Tanzfläche kreisen möchte, kommt es unweigerlich zu Zusammenstößen. Am besten sprechen wir also darüber, zu welchem Lied wir gerade tanzen möchten. Ändern darf sich das jederzeit.
3. Anrempeln und auf die Füße treten:
Toleranz & Verzeihen
Wer schon einmal beobachtet hat, wie sich einige Paare beim Tanzkurs mit Schuldzuweisungen traktieren, weiß: Ein guter Tanz ist vor allem gelebte Toleranz und ein gegenseitiges Entgegenkommen. Damit es trotz Fehlern klappt, hilft es nicht, sich entnervt umzudrehen und zu seufzen: „Nie hörst Du mir richtig zu“. Vielmehr müssen wir klar benennen, was gerade den Fluss gestört hat: „Jetzt gerade, als Du mich so weit nach rechts gedreht hast, habe ich es nicht schnell genug wieder in die Mitte geschafft. Kannst Du mich das nächste Mal etwas schneller wieder zu Dir heranziehen?“ So weiß unser Partner ganz genau, wo es aus unserer Sicht gehakt hat und wie sich die kleine Störung leicht beheben lässt – ohne, dass der ganze Tanz in Frage gestellt wird. Dann stehen die Chancen gut, dass er es genauso ausprobiert. Geduld ist die Basis, um sich als Tanzpaar weiter zu entwickeln. Nur ein Anfänger droht: „Wenn diese Drehung nicht klappt, dann tanze ich nicht mehr mit Dir.“ Eine so harte Position zeugt bloß von mangelnder Flexibilität und Unkreativität. Denn es gibt immer Möglichkeiten, Figuren so anzupassen, dass es für beide machbar wird.
4. Die Schritte lernen:
Miteinander trainieren
Ein weiterer typischer Anfängerfehler: Führt der Partner eine Figur nicht erwartungsgemäß aus, sagen Anfänger: „Du hättest doch aber so oder so reagieren müssen, wenn ich dieses Zeichen gebe.“ Falsch: Denn wenn der Partner etwas nicht verstanden hat, liegt das immer an der unklaren Führung. Man muss also deutlicher zeigen, was man möchte.
Auch möglich: Vielleicht hat der Partner zwar verstanden, was gewünscht war, wollte es aber nicht umsetzen. Beim Tanzen kann es beispielsweise passieren, dass sich die Dame inmitten einer vollen Tanzfläche gegen einen tiefen Dip sperrt. Möglicherweise sorgt sie sich um das Risiko einer Kopfverletzung, weil gerade zu viel los ist. Ihre Verweigerung ist natürlich erlaubt und angemessen. Aber Profitänzer erklären so etwas sofort und nennen die Gründe für ihr Verhalten. Damit verhindern sie, dass sich der Tanzpartner in eigene Interpretationen versteigt („Sie ist einfach nicht beweglich genug.“) und dass dadurch Missverständnisse entstehen, die Wertschätzung fressen und den Horizont für künftige gemeinsame Tänze deutlich einschränken.
5. Einander wahrnehmen:
Einlassen und gemeinsam wachsen
Fortgeschrittene Tänzer improvisieren immer mehr. Ihr Geheimnis: Je spielerischer und experimenteller der Tanz, desto mehr Vertrauen benötigen wir zueinander. Wir können über uns hinauswachsen, wenn wir uns bei gleichzeitigem Freiraum gehalten fühlen. Eine Tangotänzerin, die mit komplexer Fußarbeit wunderschöne Figuren zeichnet, braucht dazu einen Partner mit einem starken Arm, der sie hält, stützt und genau wahrnimmt. Einen Partner, der weiß, wann sie glänzen möchte und wann sie wieder in die Geborgenheit zurückkehren möchte. Gute Tänzer bewahren sich zudem die Offenheit, sich korrigieren zu lassen. Eine beleidigte Reaktion auf einen konstruktiven Hinweis hat weder auf der Tanzfläche noch im Beziehungsgeschehen etwas zu suchen. Denn wenn wir uns wirklich weiter entwickeln wollen, brauchen wir ein gewisses Quäntchen Demut. Die Voraussetzung dafür ist ein gutes Selbstwertgefühl. Denn wenn wir mit uns selbst im Reinen sind, fühlen wir uns nicht komplett in unserer Person angegriffen, bloß weil uns jemand einen Ratschlag gibt. Wer in seinem Kopf konstruktive Kritik mit „Immer machst Du alles falsch“ übersetzt, hat ein Problem, das vermutlich von früheren Verletzungen rührt. Unser aktueller Partner hat dazu erst einmal nichts beigetragen. Sich dies einzugestehen, erfordert Mut – und interessanterweise steckt dieses Wort auch in dem Begriff „Demut“. Bescheidenheit ist die Basis einer jeden großen Kunst. Sie heißt, sich klar zu machen, dass wir alle weit davon entfernt sind, perfekt zu sein. Immer.
7. Leichtigkeit und Aufrichtung:
Für das Gelingen der Figuren
Wer fröhlich ist, holt mehr heraus bei seinen Verhandlungen. Das gilt für die Tanzfläche ebenso wie für andere Lebenslagen. Ärger senkt bloß die Kooperationsbereitschaft und führt dazu, dass wir uns gegenseitig auf die Füße treten. Letztlich wird jeder einzelne Tanz – auch mit demselben Partner – immer wieder eine neue Verhandlung sein. Jedes Mal können wir uns dabei mit neuen Augen sehen. Geprägt von einem offenen Herzen und einer aufrichtigen Kommunikation kann genau das zur schönsten Sache der Welt werden.