Eine Reise zu den Ursprüngen der lateinamerikanischen Tänze

Barbara Nagode-Ambroz, Trainerin und Wertungsrichterin der Lateinamerikanischen Turniertänze, verliebte sich direkt bei ihrer ersten Kuba-Reise in die Philosophie der kubanischen Art des Tanzens.
Die besondere Freude und Natürlichkeit der dortigen Bewegungsgrundlagen möchte sie an ihre Paare weitergeben. Mittlerweile hat sie bereits zum fünften Mal eine kubanische Tanzreise für Turnierpaare veranstaltet: »Cuban Experience«.
In ihrem ersten Buch versucht sie jetzt die Charakteristiken und Eigenschaften des original kubanischen mit dem Turniertanzen zu verbinden.
Im Interview mit »TANZEN – Das Magazin« spricht sie über ihre tänzerischen Erfahrungen, ihre Einstellung zum Turniertanz und die Frage, ob die kubanische Mentalität sich überhaupt mit der strengen, austrainierten Welt des Turniertanzes vergleichen lässt.

TANZEN – Das Magazin: Erinnern Sie sich an den Moment, in dem Sie sich in Kuba und den dortigen Tanzstil verliebt haben?
Barbara Nagode- Ambroz: Ich erinnere mich, wie ich 1985 das erste mal in Havanna landete. Als ich aus dem Flieger stieg, fühlte ich mich wie zu Hause; meine Seele erkannte, dass ich mich am richtigen Ort befand. Zuerst verliebte ich mich in den Klang, die Musik, die Farben und Geschmäcker des Landes. Dies geschah im Juli – der Monat des Karnevals in Havanna. Malecon (A.d.R. Havannas berühmteste Uferpromenade) war für Autos gesperrt und die Nächte waren voller Tanz. […] Das Gefühl war ähnlich wie beim im Sambódromo in Rio, jedoch waren die Kubaner tänzerisch viel aktiver mit dabei. […] Es ist schwer, dies mit Worten zu beschreiben; man muss es selbst erleben und ein Teil davon sein.

TANZEN – Das Magazin: Wie hat es sich angefühlt, als Sie das erste mal in Kuba Salsa getanzt haben?
Barbara Nagode- Ambroz: 1991 nahm ich zum ersten mal an einem Sommerkurs teil, in dem ich die ursprünglichen Tanzstile lernte und auf Percussion-Instrumenten spielte. Dies fühlte sich so anders und surreal an, da das Tanzen mit kubanischen Tänzern nicht auf dem »Führen und Folgen«–Prinzip basiert. […] Es ist ein reiner Dialog der Bewegung; natürlich, spontan und basierend auf der menschlichen Fähigkeit, sich ganz intuitiv nonverbal zu verständigen.

TANZEN – Das Magazin: Haben Sie dieses Gefühl auf »regulären« Wettkämpfen schon einmal gehabt?
Barbara Nagode- Ambroz: Natürlich nicht. Deshalb wollte ich es entdecken. In unserer westlichen Welt lernen wir Tanzen mit Intellekt. Wir zählen, wir lernen die Schritte und wir fragen uns ständig, ob wir es richtig machen. In der lateinamerikanischen und afrikanischen Kultur existiert das Tanzen schon von Anfang an. Jeder ist ein Teil davon und trägt zu Festen und Ritualen bei. Dort wird nicht das Tanzen gelernt, sondern es wird einfach nur gezeigt, was sich im Inneren verbirgt.

TANZEN – Das Magazin: Was ist das Ziel Ihres Projektes »Cuban Experience«?
Barbara Nagode- Ambroz: Neue und bisher unbekannte Bewegungen zu entdecken, steht im Fokus. Mein Ziel ist es, dass Tänzer, Trainer und Wertungsrichter das authentische kubanische Tanzen in ihren Wettkampfstil mit einbeziehen. […] Ich hoffe, dass die Dokumentation »BACK TO THE ROOTS«, in Kombination mit meinem Buch, Tänzer auf der ganzen Welt dazu einlädt, einen neuen Blick auf das Tanzen im Allgemeinen zu entwickeln.

TANZEN – Das Magazin: Haben Sie noch Tipps für Tanzpaare, egal ob diese Turniere tanzen oder nicht?
Barbara Nagode- Ambroz: Sie müssen sich selbst erfahren. Tanzen kann nicht kopiert, ausgeliehen, gespielt oder gekauft werden. Wir bringen es uns bei, indem wir bewusster tanzen. […] Beim Tanzen geht es darum den Moment zu spüren, das Gefühl zu genießen und es mit anderen zu teilen. Es geht mehr um das Geben, als um das Nehmen.

TANZEN – Das Magazin: Was dürfen die Leser von Ihrem neuen Buch »BACK TO THE ROOTS« erwarten?
Barbara Nagode- Ambroz: Wir leben in einer Welt der Bedürfnisse und Erwartungen. Aber Erwartungen können auch gefährlich sein: wenn wir uns zu sehr auf ein Ziel in der Zukunft fixieren, dann verpassen wir oft den Moment im Hier und Jetzt – den Moment, in dem wir das Tanzen genießen könnten. Deshalb sollten wir unsere Erwartungen hinten anstellen und in erster Linie die Gegenwart aktiv erleben. […] Das Buch erinnert uns daran, uns wieder uns selbst zuzuwenden, anzuerkennen, was wir bereits in uns haben, und dies beim Tanzen nach außen zu tragen.

TANZEN – Das Magazin: Haben Sie nach Ihren mehr als 30 Reisen nach Kuba noch einen speziellen Reisetipp?
Barbara Nagode- Ambroz: Kuba ist eine große Insel mit einer unglaublichen Vielfalt. […] Wenn wir offen und präsent sind, können wir die Welt in all ihren Details wahrnehmen. Havanna bietet historische Schätze, tolle Museen, Galerien und Theater. Jeden Tag und jeden Abend spielen überall Bands und es gibt viele Orte, an denen getanzt wird. Wer sich wie ein Tourist verhält, wird auch wie ein Tourist behandelt. Was uns da verkauft wird, ist nicht das Gleiche wie das, was wir erleben können, wenn wir in die Gesellschaft eintauchen. Die Prostitution der kubanischen Kultur ist nur ein Weg, um zu überleben und deshalb bekommt man all dies im Schlussverkauf. Unsere Aufgabe ist es, das Land und die Leute mit einer offenen Perspektive zu betrachten – voller Würde und Respekt.

Das Interview führte Kristina Sczesny