Vom Tango können Führungskräfte einiges lernen. Innovative Coaches nutzen den komplexen Tanz, um deutlich zu machen, was gutes Leadership ausmacht.

Schummriges Licht, melancholische Musik. Er im dunklen Anzug, sie im engen Kleid. Er führt, sie folgt. Die Rollen sind klar verteilt, das garantiert den reibungslosen Ablauf und macht die Faszination dieses Tanzes aus. So ein verbreitetes Klischee vom Tango, das dem Machismo früherer Jahrhunderte entsprungen ist. Mit der Realität allerdings hat das nur wenig zu tun. Doch gerade die Tatsache, dass die Sache mit der Führung in Wirklichkeit viel raffinierter ist, ist ein Glücksfall fürs Coaching. Vom Tango nämlich können Führungskräfte eine Menge lernen – nicht nur fürs Tanzparkett, auch für das glatte Parkett der Chefetagen.

Anders als andere Tänze kennt der Tango keine feste Folge von Figuren, jeder Schritt wird aus dem Moment heraus improvisiert. Deshalb ist sensibles Führen und Folgen nötig. Das ist kein Monolog des Führenden, sondern ein Dialog zwischen den Partnern. Man zwingt den anderen zu nichts, sondern lädt ihn ein, die Führungsimpulse wahrzunehmen und aktiv zu antworten und verfolgt dann aufmerksam, wie diese Signale ankommen. Das nutzen Tangocoaches wie Gertrud Arlinghaus, um mit Führungskräften im Berufsleben am nötigen Fingerspitzengefühl zu arbeiten.

„Im tangogestützten Coaching wirkt der Tanz wie ein Vergrößerungsglas. Auf diesem gefahrlosen Spielfeld können unbewusste Handlungsmotive erforscht, Handlungsweisen erprobt, eingeübt oder verworfen werden“, erklärt Arlinghaus. Sie ist Tangolehrerin und Coach in Lohne/Vechta und erforscht seit Jahren, wie Tangoerfahrungen in Alltags- und professionelle Bezüge übertragen werden können. „Führungskräfte, die das einmal ausprobiert haben, erkennen den Wert für die Persönlichkeitsentwicklung und auch für den wirtschaftlichen Erfolg“, verspricht sie.

Das kann auch Thomas Lotte unterschreiben: „Führen beim Tango bedeutet Vielseitigkeit, Fantasie, Entscheidungsfähigkeit und soziales Denken“, erklärt der Inhaber des Oldenburger und Bremer Tangostudios Libertango. „Ich initiiere Zeitpunkt und Richtung der Bewegung. Allerdings muss ich meiner Partnerin vorweg einen Impuls geben, damit sie nicht das Gefühl hat, hinter mir herzulaufen. Führende geben den Impuls, die Geführten initiieren die Bewegung und die Führenden folgen wiederum diesem Impuls.“ Dafür braucht es eine hohe Flexibilität. Und genau die hilft Führungskräften im Berufsalltag weiter.

Tango-Coaching unterstützt viele Führungsfertigkeiten. „Hier spiegeln sich viele Aspekte der Persönlichkeit, der Interaktion und der Organisationskultur. In der körperlichen Interaktion eröffnen sich manche Problemstellungen schon in der ersten Begegnung. Diese Themen greife ich auf und transformiere sie gemeinsam mit dem Coach auf relevante Führungsfragen“, erklärt Arlinghaus.

Mit ersten leichten Schritten lernen die Coaches, Führungsimpulse zu setzen und sensibel die Reaktion des Gegenübers wahrzunehmen. Und umgekehrt schlüpft der Führende auch in die Rolle des Geführten und spürt, wie es sich anfühlt, klar oder eben nicht klar genug geführt zu werden. Das spricht nicht nur den Verstand an, sondern macht gute Führung auch körperlich erfahrbar.

Es geht also nicht um das Erlernen von Tanzschritten, sondern um die Verbesserung der Selbst- und Fremdwahrnehmung, um Entscheidungsklarheit, Haltung, Vertrauen und Zielorientierung. Und da spielt es dann auch keine Rolle, ob jemand tanzen kann. Man muss sich nur darauf einlassen können, anderen Menschen nahe zu kommen. Da es beim Tango keinen Grundschritt gibt, sondern das Gehen an sich die Basis ist, kann jeder, der spazieren gehen kann, auch Tango tanzen. Alte Tanzschultraumata kann man also getrost beiseite legen. Und wenn einem danach ist, kann man das Gelernte dann sogar im dunklen Anzug und engen Kleid anwenden – in schummrigem Licht zu melancholischer Musik.